(Ver)-urteilen

„Du sollst nicht urteilen“, heisst es in spirituellen Lehren öfter, und das wird sehr oft missverstanden. Wir glauben, jetzt alles hinnehmen zu müssen, wie es ist, ohne uns zu wehren oder ohne eine Meinung darüber haben zu dürfen.

Es gibt einen Unterschied zwischen Urteilen (oder beurteilen) und Verurteilen. Wir dürfen sehr wohl darüber urteilen, was uns in unserem Leben wichtig ist und was wir in unserer Zukunft nicht mehr erleben möchten. Das ist sogar sehr wichtig und hilft uns dabei, Erfahrungen zu sammeln, zu reifen und zu wachsen. Es ist sogar äusserst wichtig, dass wir für uns bestimmte Dinge beurteilen. Wir können nicht gleichzeitig in München und in Frankfurt wohnen. Um Entscheidungen zu treffen, müssen wir die Dinge für uns beurteilen und bestimmen, was für uns das Beste ist. Das ist wichtig, um ein glückliches und erfülltes Leben zu führen, in welchem wir bestimmen, wohin wir gehen. Ohne diese Beurteilungen sind wir wie Blätter im Wind, die durch äussere Umstände gelenkt und von einer Situation in die andere geweht werden, ohne dass wir mitreden können, was als nächstes auf uns zukommen wird. Das mag für den einen oder die andere zwar bequem sein, ist aber niemals erfüllend oder befriedigend.

Wenn wir nichts entscheiden, weil wir ja nicht urteilen dürfen, können wir den äusseren Umständen, Gott, der Welt, der Politik oder unserem Umfeld die Schuld für all unser Scheitern geben. Wir empfinden das Leben als ungerecht und glauben, stets übergangen oder nicht geliebt zu werden. Entscheidungen und Urteile anderen zu überlassen bedeutet, die Macht abzugeben und unsere Schöpferkraft nicht zu nutzen. Natürlich ist es für einige von uns schwierig, auf einmal selbst Verantwortung für das eigene Leben und alles, was darin schief läuft, zu übernehmen. Es bedeutet, einige Menschen zu verletzen und gegen Widerstände unseren Weg gehen zu müssen, aber dadurch werden wir automatisch zufriedener und ausgeglichener, sodass uns nicht jeder Windstoss wieder in eine Richtung bläst, in die wir gar nicht wollen.

Verurteilen bedeutet, dass wir glauben, genau zu wissen, was gut für jemand anderen ist oder was jemand anders tun oder lassen sollte. Wir haben quasi „die Welt verstanden! und wollen natürlich, dass auch unsere Lieben endlich mitbekommen, was bei ihnen alles nicht richtig läuft. Wir verurteilen den Berufswunsch unserer Kinder, weil wir glauben, die richtige Wahl für sie treffen zu können. Wir verurteilen das Verhalten unseres Partners oder unseres Chefs und versuchen, ihn oder sie mit irgendwelchen Techniken dazu zu bringen, sich für uns zu ändern. Leider ist das zum Scheitern verurteilt, auch wenn wir noch so sehr glauben, im Recht zu sein.

Verurteilen hat immer mit dem Aussen zu tun, Beurteilung mit uns selbst. Solange wir bei uns bleiben und nicht glauben, die Welt der anderen verändern zu müssen, können wir so viel urteilen und beurteilen, wir wir möchten. Wenn wir jedoch beginnen, uns in die Schöpfung anderer und in deren Weltbild einzumischen, welches sich komplett von unserem unterscheiden kann, wird es unangenehm. Es ist nicht unsere Aufgabe, die Welt für die anderen besser zu machen. Nutzen wir unsere Gabe des beurteilens also lieber für uns und kümmern wir uns darum, unser Leben von Tag zu Tag schöner zu gestalten. Dadurch werden wir automatisch zum Vorbild für andere, und wenn diese uns dann um Hilfe bitten, können wir sie gerne begleiten und ihnen unsere Meinung mitteilen.